Mein Morgen – Ritual

Wenn sich vieles verändert – und das kann man in Zeiten wie diesen nicht unbedingt abstreiten – seien Rituale wichtig, sagt man. Wenn du das Wort „Ritual“ auf wikipedia suchst, wirst du die Erklärung finden, dass ein Ritual „eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich-festlich ablaufende Handlung mit hohem Symbolgehalt“ ist.

Ich habe vor Kurzem einer sehr erfolgreichen Person zugehört, die erklärt hat, Morgen – Rituale seien gerade für Menschen, die an einem Tag viel erledigen müssen, sehr wichtig. Sie riet deshalb, nicht in den Tag zu hechten, sondern ihn laaaangsam, bedacht und geplant zu beginnen. Die Planung dafür sollte bereits am Vorabend verschriftlicht werden.

Nun, das klingt ja alles wunderbar, gut und schön. Nachdem ich der erfolgreichen Person zugehört hatte, habe ich höchstmotiviert begonnen, meinen nächsten Tag zu planen, bin früh ins Bett gegangen, um am Morgen gut gelaunt, im wunderschönen Morgen-Outfit eine Runde Sonnengrüße zu machen, gleichzeitig Kräutertee statt Kaffee zu trinken und das alles draußen, im warmen Licht der aufgehenden Morgensonne zwecks Füllung meiner Lungen mit frischer Luft bei gleichzeitiger sonnenbedingter Vitamin D – Produktion. Guter Plan.

Ungefähr so.

Allein es haperte an der Umsetzung. Nach einer kurzen erzwungenen Katzenfütterung um 5h bin ich wieder tief und fest eingeschlafen und dann doch in meinen Morgen gehechtet. Wenigstens war ich ausgeschlafen.

Wenn du mich also nach meinem Morgen – Ritual fragst, dann kann ich dir keine großartige Erfolgsgeschichte erzählen. Bis auf eine Ausnahme. Es gibt ein einziges Morgen – Ritual, das ich im Leben niemals aufgeben möchte.

An ein paar Tagen in der Woche fahre ich bei Sonnenaufgang von zu Hause weg, um meine Pferde zu sehen. An diesen Tagen fällt das Aufstehen seltsamerweise ganz leicht. Wenn ich am Parkplatz noch ein bisschen verschlafen aus dem Auto aussteige, meinen Kaffeebecher in der Hand, empfängt mich eine unglaubliche Ruhe und Friedlichkeit. Die kühle, feuchte Morgenluft, die nach Wald, Wiesen und Pferden duftet, füllt meine Lungen, besser als es irgendeine andere Yoga-Morgensonnen-Luft könnte.

Der erwachende Tag taucht die Weiden in ein rötliches Licht. Es ist ganz still. Nur die Vögel begrüßen mich. Ich gehe an den großen Weiden vorbei, hinunter Richtung Paddocks. Wenn ich genau hinhöre, höre ich schon das zufriedene Schnauben der Vierbeiner. Die Pferde entdecken mich meist schon aus der Ferne. Die Wallachen sind die ersten, die ich sehe. Hreimur und seine Freunde sind kurzzeitig bereit, ihre Nüstern, die tief im Heu vergraben sind, aus diesem zu heben, um mich zu begrüßen. Hreimur kommt immer, wirklich immer, zum Zaun, wittert er doch eine Chance auf eine Karotte. Das ist meist Fehlanzeige, mehr als meinen Kaffeebecher von zuhause mitzunehmen schaffe ich bei Sonnenaufgang nicht.

Nachdem Hreimur das abgeklärt hat, geht er zurück zu seinen Freunden, steckt seine Nase wieder ins Heu und lässt mich meine Begrüßungstour fortsetzen. Nach Hreimur begrüße ich die Stuten. Náma und Óþreyja und ein paar andere sind bereit, zum Zaun zu kommen. Ich streichle über ihre neugierigen Fellnasen. Skriða beobachtet mich eher aus der Ferne.

Nach dieser Begrüßungszeremonie erledige ich, was ich gerne machen möchte. Ich hol zum Beispiel Náma und geb ihr ein Special-Náma-Frühstücksmüsli. Manchmal geht sich sogar noch ein kurzer Ausritt in die Weinberge aus. Oder eine halbe Stunde in der Halle.

Zu einem Morgen – Ritual gehört laut der Definition eine gewisse feierliche Festlichkeit. Um dieser Genüge zu tun, setze ich mich nach getaner Arbeit kurz auf die Terrasse, von der aus ich die friedlich vor sich hin fressenden Pferde sehen kann. Ich beobachte die Tiere gern in ihrer Herde. Ich sehe sie fressen, spielen, schlafen. Wenn es Zeit wird, fahre ich wieder nach Hause.

Mein Arbeitstag beginnt dann nämlich. Ich versinke in der Arbeitswelt, in der ich mich um ganz andere Dinge kümmere. Aber nach so einem Morgen- Ritual spüre ich noch die frische Luft. Die Ruhe. Ich habe den Pferdegeruch noch in der Nase und das Schnauben in den Ohren.

Ich bin bereit zuzugeben, dass die erfolgreiche Frau Recht hatte. Es macht Sinn, den Tag am Vorabend genau zu planen. Es macht Sinn, sich die wenigen Stunden, die ein Tag hat, so einzuteilen, dass es Platz gibt für Rituale, die uns wichtig sind. Die uns erden. Die uns stark machen für die Herausforderungen, die es  – für die meisten von uns – außerhalb der Pferdewelt mehr als genug gibt.

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